Spott und Hohn im Korân: Wenn der Spass aufhört…

,,Ohne Titel’’ von Ardeshir Mohassess  (1978)

Von Ebnomer-Eltayeb Taha

«Toleranz ist die Haltung derer, die an nichts glauben»  

G.K Chesterton

(I)

Möglicherweise aus Empathie plädiert der Basler Theologe Georg Pfleiderer [1] dafür, Verständnis zu haben für religiöse Menschen, die sich in Konfrontation fühlen mit der religionskritischen ,,Zumutung’’ der modernen Gesellschaft. Diese Zumutung der Religionskritik sei für Religiöse  anstrengend, so Pfleiderer. Im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Wien, schlägt er vor, dass man nachdenken muss ,,Wo der Spass für einen selbst aufhört’’. Pfleiderer vertritt in seinem  Plädoyer eine durchaus balancierte Position, weil er alle, nicht nur die Religiösen, zu Toleranz und Sensitivität in einer multireligiösen Gesellschaft aufruft. Dennoch bleiben einige Fragen offen, da diese Position doch implizit eine Anfälligkeit des religiösen Subjekts für Gewalt suggeriert, weil dieses nicht in der Lage sei, mit der Zumutung der Religionskritik in einer säkularen Gesellschaft umzugehen. Diese  Sensibilität des religiösen Subjekts überwältigt es und fordert es in ihrer intimsten Sphäre heraus. Aufgrund dieser  Überwältigung  fühlt sich das  religiöse Subjekt  provoziert, sich der Gewalt zu hingeben. Wie vorhin erwähnt, erscheint diese Position für einen Moment genug differenziert, jedoch überschaut sie einige existierende rhetorische Vehikel, welche in den heiligen Schriften, zumindest im Korān, vorhanden sind. Diese rhetorischen Vehikel suggerieren, dass die vermeintliche ,,Zumutung des religiösen Subjekts’’ nicht ein derartiges Problem darstellen muss. Diese Vehikel in den heiligen Schriften können es vielleicht auch für solche Zumutungen vorbereiten. 

(II)

Spott hat korānische Anwendungen 

Wenn es darum geht, dass Formen von Glauben nicht unangemessen dargestellt werden dürfen, so könnte man argumentieren, dass dies oft gar nicht so ein Problem darstellt. Denn es gibt zahlreiche Stellen, in welchen die korānische Schrift oftmals den Glauben der Mekkaner in den provokantesten bildlichen Darstellungen beschreiben. Zum Beispiel werden die damaligen heidnischen Mekkaner für ihre Unfähigkeit, die korānische Botschaft zu begreifen, bildlich mit ,,Blinden’’ und ,,Tauben’’ verglichen, um sie in den Augen vom frommen Gläubigen zu verspotten.  Dies geschieht in Variationen und Stufen. An einigen Stellen werden bekannte Figuren sogar explizit erwähnt und verspottet und in manchen indirekt ohne Erwähnung. Solche expliziten Darstellungen und ihre Funktionen, waren von Anfang an in der klassischen islamischen exegetischen und literarischen Theorie ein Thema für sich, welches sich die Gelehrten immer verpflichtet fühlten weiter auszudeuten. 

Der Literaturtheoretiker und Korān-Exeget Abū al-Qāsim Maḥmūd b. Zamakhscharī (538/1144) analysierte systematisch korānische Stellen wie ‘’Gott verspottet sie’ oder ‘jene wird Gott ihren Hohn vergelten’’ und fragte sich im Tafsīr al-Kashshāf [2],seinem Magnum Opus der Koranexegese, wie Gott spotten kann, wenn Er gleichzeitig die besten Attribute inne hat? Zamakhscharī vermied es, die Gattungen von Spott und Hohn selbst auf Gott zurückzuführen, aber deutete sie als eine Einladung von Ihm, dass die Wege und Gewohnheiten der heidnischen Mekkaner in den Augen des Lesers belächelt werden müssen, da Gott ihren Glauben, ihre Überzeugungen und Gewohnheiten damit untergräbt. Eine Erklärung die nur Sinn macht, weil der Exeget Zamakhscharī, konsistent mit seiner Theologie sein musste (die mu’tazilītische Theologie): Gott ist nur schön, pflegt nur das Schöne und ist vom Hässlichen kategorisch befreit. Gott kann also nicht spotten und wenn, dann nur als symbolisches Vehikel der Sprache zur Belehrung von Gläubigen. Späteres Interesse [3] am selben  Thema überwand Zamakhscharīs zurückhaltende Position zur Gattung des Spotts. Abdal Halim Hafni  schlug vor, dass Darstellungen von Spott, Hohn und das Belächeln unumgänglich sind, auch in der korânischen Rede, da sie gezielt für einen nützlichen Zweck verstanden werden sollten: 

  • Sie dienen  den gläubigen Mekkanern dafür, ihren Halt am neuen Glauben zu festigen, indem Gott sie über die Lächerlichkeit des (heidnischen?) Glaubens der ,,Anderen’’ informiert und ihren eigenen Monotheismus affirmiert.   
  • Der korānische Text deckt damit auch die Minderwertigkeiten von bestimmten heidnischen historischen Figuren für den Leser auf, trotz des damaligen Status und des Ruhms, den diese heidnischen Figuren für die nicht-muslimischen  Mekkaner innehatten. Dadurch wird dem Leser demonstriert, dass diese Personen, bzw. die als gross angesehenen Fürsten von Quraisch ihre eigenen menschlichen Komplexe und Krämpfe hatten.
  • Jenseits des Verspottens bezwecken die provozierenden und bildlichen Nachahmungen eine Anregung  für den Leser des korânischen Texts, sich seinen Glauben logisch und vernünftig anzueignen,damit der Leser des korânischen Textes selbst, bzw. das religiöse Subjekt nicht Gegenstand von Verspottung wird. 

(III)

Die vorgenommenen Schilderungen belegen, dass Spott und Hohn angesichts des herausfordernden Umgangs mit den Ideen, Inhalten und Charakteren der heidnischen Mekkaner gezielt angewandt wurden von Gott in Seiner Rede im Korân. In einer ähnlichen Betonung jedoch, wird dem Leser im Korānischen Text explizit durch Gott verboten, die Götter der  heidnischen Mekkaner zu schmähen: “schmäht nicht die Götter der Anderen”. Der noch jungen muslimischen Gemeinde in Medina wird auch klar gesagt: […die einen sollen nicht die anderen verhöhnen…] bei dem ersten Vers wird dies damit begründet, dass ”man wolle nicht aus Unwissenheit mit ihnen verfeindet werden” und beim anderen Beispiel wird das « Stiften von Frieden» als eine Begründung genannt, welche erstrebenswert ist. In den beiden Beispielen wäre der gemeinsame Nenner: Ein ethischer Umgang trotz Differenzen!.

(IV)

Gerade die Existenz der beiden Dimensionen, also einerseits der provokativen Infragestellung unreflektierter Glaubensüberzeugungen, andererseits eines expliziten Schmähverbots solcher Glaubensüberzeugungen im korānischen Text, suggerieren, dass für die Leser des Korāns dies eine Grundlage für eine Synthese zwischen Glaubensfreiheit und Meinungsfreiheit sein kann. Spott und Hohn vermag für die Leser im abstrakt-ideellen Sinne nützlich im Sinne der Bildung und der Affirmation der eigenen Glaubenswelt sein. Allerdings wird im zwischenmenschlichen Sinn eine andere, ethische Dimension betont und in den  Vordergrund gebracht: nämlich Rücksicht und Respekt. Eine Auseinandersetzung mit womöglich dramatischen Konsequenzen sollte vermieden werden. Deshalb auch das korânische Schmähverbot im zwischenmenschlichen Umgang mit den religiösen Überzeugungen des “Anderen”. 

Falls so eine Komplexität und Ambiguität der Göttlichen Rede im Korân dem modernen religiösen Subjekt bewusster wird, kann dies zur Bildung von Schutzmechanismen vor dieser vermeintlichen ,,Zumutung’’ der religionskritischen Gesellschaft führen. Denn Spott und Hohn sind Vehikel, die exemplarisch durch Gott in der korânischen Rede genutzt werden zur Beschreibung der Glaubenswelt des “Anderen”. Reziprok ist von gläubigen Subjekten, also auch von Musliminnen und Muslimen in der religionskritischen, säkularen Gesellschaft zu erwarten, dass sie mit dieser Zumutung ebenso einen Umgang zu finden haben, ohne sich einer unkontrollierten Wut oder sogar Gewalttaten hinzugeben.

Zuletzt im Rückschluss auf Pfleiderers Reflektion ist festzustellen, dass tatsächlich eine Zumutung der modernen Religionskritik vorhanden ist. Jedoch geben die heiligen Schriften, zumindest im Korân genügend Indikatoren vor, so dass der gläubige Leser mit Beispielen in welchen Situationen von Zumutung thematisiert sind, sich mit diesen vertraut machen und so auch Provokationen gegenüber dem eigenen Glauben gesünder entgegentreten kann.     

[1] Pfleiderer, Georg: Feuilleton in NZZ, erschienen am 10.11.2020

[2] Al-Kashshāf ‘an ḥaqā’iq al-tanzīl wa ‘uyūn al-ghawāmiḍ fī wujūh al-ta’wīl

[3] Al-taswīr al-sākhir fī al Qur’ān al-karīm von Abdalhalīm Hafnī (1993) Linguist, Al-Azhar Universität

One thought on “Spott und Hohn im Korân: Wenn der Spass aufhört…”

  1. Danke für den Hinweis auf die ambivalente Sichtweise des Korans bezüglich falscher Anhänglichkeit. Rs ist an uns, den Weg der Achtung und des Verstehens und des Duldens zu erkennen und zu gehen.

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