
Von Abduselam Halilovic
Wieder einmal haben Terroristen in den letzten Wochen im Namen des Islams grausame Anschläge ausgeführt. Dieses Mal traf es zuerst Frankreich und danach Österreich. In der Schweiz werden die aktuellen Geschehnisse von vielen, auch Musliminnen und Muslime, mit Aufmerksamkeit und Bestürzung mitverfolgt.
Bereits im Vorfeld der Anschläge, aber um so mehr seither, wurde sowohl in der internationalen Presse, wie auch im schweizerischen Kontext viel dazu geschrieben. Gewisse Kommentatoren verorten das Problem in der Gewalt, die aus den religiösen Quellen des Islams selbst hervorscheine und somit ein fundamentaler Bestandteil des Islams als Religion sei. Potentiell wären somit also alle Musliminnen und Muslime anfällig dafür, zu Gewalttäterinnen und Gewalttätern zu werden. Andere Kommentatoren der Ereignisse sehen das Problem wiederum zwar auch in gewalttätigen Passagen islamischer Quellen, die jedoch von Extremisten oder Dschihadisten ausserhalb ihres Kontextes missbraucht werden, um die eigene Ideologie zu rechtfertigen. Wieder andere legen das Augenmerk auf soziale Faktoren wie Chancenlosigkeit, Bildungsferne, Armut, Ausgrenzung, Entfremdung etc., welche die jungen Männer und Frauen erleben, die oftmals auch seit ihrer Geburt Bürgerinnen und Bürger jener Staaten sind, in denen sie Anschläge verüben. Gewisse Positionen schlagen auch ein integratives Modell von Gewalt-Passagen in den Quellen, ideologisch-islamistischem Missbrauch und den genannten sozialen Faktoren vor, die alle gemeinsam zu einer Radikalisierung und der Ausübung von Gewalt führen. Die ganze Debatte ist gleichzeitig in einem politischen Schlagabtausch rechter und linker politischer Positionen eingebettet, die sich gegenseitig das Problem zuschieben. Entweder sind dann rechte Hetze und Diskriminierung, oder linke Naivität und Gutmenschentum für den Terror verantwortlich.
Von Musliminnen und Muslimen wird hingegen allgemein gefordert, sich noch klarer zu distanzieren und noch eindeutiger Stellung zu nehmen, gegen die Gewalt im Namen ihrer Religion sowie für die liberalen, demokratischen Werte und Normen der Gesellschaften in denen sie leben, wie z. B. die Meinungsäusserungs- und Religionsfreiheit. Muslimische Organisationen, die sich prinzipiell immer, so auch zu den aktuellen Anschlägen in Frankreich und Österreich äussern und geäussert haben, beklagen hingegen, dass ihre Stimmen ignoriert oder nicht gehört werden.
Aus der Perspektive eines Muslims oder einer Muslimin, die beispielsweise in der Schweiz lebt, möglicherweise auch hier geboren und/oder sozialisiert wurde und sich zu dieser Gesellschaft zugehörig fühlt, lösen die islamistischen Terrorakte selbst und der öffentliche Diskurs, der unumgänglich darauf folgt, ein Gemisch von inneren Emotionen und Zuständen aus. Im ersten Moment kommt Schock und Sprachlosigkeit darüber, dass es wieder zu einem Anschlag gekommen ist. Es ist auch Trauer da und das Mitgefühl mit den Opfern des Anschlags, ihren Angehörigen und Freunden, die auf so eine sinnlose und oftmals brutale Art und Weise einen lieben Menschen verlieren mussten. Meistens mischen sich auch eine irrationale und oftmals leider schnell ernüchterte Angst und Hoffnung, dass es nicht schon wieder ein/e Muslim/in ist, der/die im Namen des Islams auf die Idee kam, wahllos unschuldige Menschen zu töten. Wacht man dann am nächsten Tag auf und beginnt die mediale Debatte mit zu verfolgen, schlägt einem/einer das oben beschriebene, typische und wiederholt durchexerzierte Schema entgegen, was für Fassungslosigkeit und Frustration sorgt.
Die Ideologie und die abscheulichen Handlungen der islamistischen Terroristen gehen komplett an der gesamten Lebensrealität der allermeisten Musliminnen und Muslime auf der Welt, in Europa und in der Schweiz vorbei. Nicht zuletzt sind es Musliminnen und Muslime selbst, die auch zu den Opfern der Anschläge gehören, wie z. B. beim Bataclan-Anschlag von 2015, dem Anschlag von Nizza im Jahr 2016 oder auch der aktuellen Terror-Attacke in Wien, bei der eines der Opfer denselben kulturell-religiösen Hintergrund wie der Täter hatte. Es geht hier nicht um eine Relativierung ideologisch-islamistischer Motivlagen, die den Taten zugrunde liegen mögen oder eine Essentialisierung der Opfer bezüglich ihrem möglichen muslimischen Hintergrund. Vielmehr geht es darum aufzuzeigen, dass die absolute Mehrheit der Musliminnen und Muslime aus Überzeugung an allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens in ihren Heimatländern in Europa und auf der Welt teilhaben und teilhaben möchten. Die Extremisten sind eine verschwindend kleine Minderheit, die mit ihrem Gewaltpotential den gesellschaftlichen Zusammenhalt uns aller auseinander zu brechen drohen. Mit ihren Schandtaten zerstören, ja enthaupten sie sämtliche universelle Werte, welche die islamische Religion, Kultur und Zivilisation historisch und aktuell in sich trägt. Es muss klar und deutlich gesagt werden: Diese kleine, extremistische Minderheit hat kein Recht darauf den Islam für sich zu behaupten!
Auch wenn es frustrierend ist, oft nicht gehört zu werden, liegt es in der Verantwortung der muslimischen Organisationen, sich auch weiterhin zu den islamistisch motivierten Terroranschlägen zu äussern und diese aufs Schärfste zu verurteilen. Es gibt bereits eine Reihe von muslimischen Theologinnen und Theologen, welche die Gewalt in der eigenen Tradition kritisch reflektieren. An ihnen und an den muslimischen Gemeinden ist es, diese wissenschaftlich-theologischen Auseinandersetzungen mit der Gewalt in der Tradition aufzugreifen und verständlich an die Allgemeinheit weiterzuvermitteln. Den aktuellen Diskurs, der meist von Erwartungen und gegenseitigen Anschuldigungen geprägt ist, gilt es ebenfalls kritisch und konstruktiv zu hinterfragen. Gleichzeitig ist es eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft und aller involvierten gesellschaftlichen, staatlichen, schulischen etc. Institutionen zu erarbeiten, wie und weshalb sich junge Menschen aus der Mitte der Gesellschaft dazu entscheiden, sich zu radikalisieren und gewalttätig zu werden. Wenn diese menschenfeindlichen und grausamen Anschläge zum Anlass für eine fundamentale Spaltung unserer liberalen Gesellschaft werden, haben wir alle verloren, während die Aspirationen der Terroristen erfüllt werden. Vielmehr sollten diese Angriffe auf die Lebensart uns aller, nicht zuletzt auch, weil wir alle davon betroffen sind und es uns alle gleichermassen treffen kann, unabhängig von unserem sozioökonomischen Hintergrund und unseren religiösen, weltanschaulichen, politischen usw. Einstellungen ein Grund sein für das gegenseitige Zukommen aufeinander und einen stärkeren Zusammenhalt gegen jegliche Extremismen und menschenfeindliche Ideologien.
Die letzten Worte gehören den Opfern dieser hinterhältigen und barbarischen Attacken: Mögen sie in Frieden ruhen und mögen ihre Liebsten in dieser schweren Zeit die Kraft haben für das Ertragen des Unerträglichen…