Burka in der Waagschale

aa. Gemischte Gefühle gehen einher mit dem Resultat zur Verhüllungsinitiative vom 7. März 2021. Jetzt kommt es darauf an, das Verbot umzusetzen. Noch dringlicher ist aber die Frage, welche gesellschaftlichen Prozesse durch den Diskurs ausgelöst werden – nicht erst mit dem Abstimmungsresultat, sondern bereits mit der ganzen Debatte um die Initiative. Der Diskurs war vom zivilgesellschaftlichen Engagement für die Rechte der Minderheiten und insbesondere für die Rechte der Frau geprägt. Dieser Einsatz berührt zutiefst – als Frau, als Muslimin. Selbst wenn der Gesichtsschleier innermuslimisch ein Randphänomen ist und für einen sehr grossen Teil muslimischer Frauen in der Schweiz nicht zur religiösen Praxis gehört, sollte die Diskussion über die Kleidung der Frau in Europa längst kein Thema mehr sein.

Die Debatte zeigte handkehrum einen starken Partizipationswillen muslimischer Jugendlicher und junger Erwachsener. Sie legten dar, dass sie Teil der schweizerischen Gesellschaft sind. Der Wille zur Mitbestimmung und das Vertrauen in die Teilhabe sollten wir als Gesellschaft wahrnehmen. Diese Erkenntnis bezieht sich nicht nur auf die junge Generation, sondern auch auf alle anderen, die sich in (Moschee-)Vereinen, Dachverbänden oder auf eine andere Weise engagieren – für eine offene Gesellschaft. Wäre die Burka-Debatte in einer Waagschale, hätte das Gesamtwohl der Gesellschaft schwerer wiegen müssen. Denn negativ behaftete Diskussionen um Muslim*innen haben Kehrseiten: Die Marginalisierung einer Personengruppe, Enttäuschung seitens der engagierten jungen Muslim*innen, aber auch die Gefahr der Mobilisierung von Jugendlichen durch Vereine mit bedenklichem Gedankengut.

Gesellschaftliche Prozesse sind viel komplexer als ein Verbot des Verdeckens von Mund und Nase.

Dieser Beitrag erschien ebenfalls in der März-Ausgabe der Zeitschrift “Aufbruch. Unabhängige Zeitschrift für Religionen und Gesellschaft”: http://www.aufbruch.ch